Als Mutter Erde das jüngste Kind von ihr und Vater Sonne gebar, kamen alle älteren Geschwister ans Kindbett, um ihr neues Geschwisterchen zu begrüßen und zu bewundern. „Es heißt Mensch“, flüsterte die Mutter Erde ihren Kindern zu. „Es wird einst ein Paradies für uns alle da sein, doch bis dahin wird es noch viel lernen müssen und es wird uns allen viele Veränderungen bescheren. Damit es wachsen kann, braucht es unsere und auch eure Hilfe.“ Die Kinder der Erde waren ganz hingerissen von diesem neuen Wesen und alle, die sie hier versammelt waren, boten dem Kind feierlich ihre ganz besonderen Kräfte an und stellten sich als Lehrer und Vorbilder zur Verfügung. Der Fels: „Ich werde dem Kind Halt und Boden geben, es soll auf mir leben und in mir Schutz und Wohnung finden. Ich werde es nach und nach ins Geheimnis der Struktur und Form einweihen und es lehren, stabil und standhaft zu werden.“ Der Baum: „Ich werde es lehren die Schöpfungskraft der Erde und des Himmels zu vereinen und werde ihm mit meinem Holz und meinen Früchten zum leiblichen und seelischen Wohl dienen.“ Der Büffel: „Ich werde es mit meinem Körper ernähren und ihm Kraft und Wärme spenden, damit es wachsen und gedeihen kann.“ Der Adler öffnete seine mächtigen Flügel und sprach: „Ich werde seinen Blick weit nach oben ins Licht tragen, damit es Vater Sonne ins Angesicht schauen kann und sich zu seinem Ebenbild entwickelt.“ So kam ein Lebewesen nach dem anderen und sie alle boten dem Kind ihre Hilfe und ihr Wissen an, denn sie alle liebten es. Ganz zum Schluss kam der alte Wolf. Er blickte das noch kleine Geschöpf lange an und sprach: „Ich werde ihm Führer sein, werde ihm zeigen, wie es sich im Leben behaupten muss und wie es seinem Schicksalsplan weise folgen kann. Doch meine Lehre wird es erst in vielen Daseinsjahren annehmen können, bis dahin braucht es erst einen Freund, der ihm hilft, der es tröstet, der es schützt und ihm die Liebe zu sich selber lehrt.“ Damit drehte er sich um und schaute lange stumm in sein Rudel. Er befahl einen verspielten, lebhaften, jungen Wolf zu sich und sprach:
„Du mein jüngster Sohn wirst die Aufgabe erhalten, diesem jungen Kind unserer großen Mutter Erde als treuer Freund zur Seite zu stehen. Begleite es und pass auf es auf. Es wird uns allen mit seiner Neugierde und seiner Aufgewecktheit viel Ärger machen und es wird sich häufig selbst weh tun. Dann, mein Sohn, musst du es an sein Gutsein und Richtigsein erinnern, du musst ihm zeigen, dass wir, die älteren Geschwister, es immer lieben und uns freuen über sein Wachstum.“ Der junge Wolf schaute seinen Vater ernst an und nickte: „Das will ich tun, Vater.“ Dann drehte er sich um und schaute auf das Menschenkind. Seine Augen wurden ganz sanft und weich und seine Rute wedelte kaum merklich. Die Mutter Erde flüsterte ihm ganz sanft zu: „Nun, kleiner Wolf, wirst du ewig im Bann des Menschen bleiben und dein Volk verlassen. Du bist nicht mehr ein Wolf, ab heute sollst du Hund genannt werden, was soviel bedeutet wie: der die wahre Freundschaft lehrt.“
Der Hund legte sich glücklich neben das Bett des Menschen nieder und seufzte tief. Diesen Platz hat er bis heute nicht mehr verlassen.
Aus: „Tierisch Gut: Tiere als Spiegel der Seele“ von Regula Meyer
Falco 02.05.2007 – 16.05.2023
hat seine Arbeit an Nora und bald an Lavie weitergegeben: